Konzept

Mendelssohn Friedens Projekt am Kleinen Michel
„The Arts“ – die Künste bergen ein ganz eigenes Potential an Erkenntnis, sie sprechen uns von innen her an. Sie können Sprachlosigkeit gegenüber ‚dem Fremden‘ und Unverständnis für ‚den Anderen‘ zu überwinden helfen – Hand in Hand mit der Vernunft. Sowohl dieses Vertrauen in die Kraft der Kunst als auch die Offenheit‚ den jeweils anderen so, wie er ist, zu tolerieren und mit ihm in Dialog zu treten: das gehört zum Lebensmodell und zu den wichtigsten Themen von Moses Mendelssohn, dem großen jüdischen Aufklärer. Anlass für das neue Projekt ist die 2019 mit einer mäzenatischen Spende fertiggestellte moderne Orgel im Kleinen Michel – die Friedensorgel. Diese soll nicht nur liturgischen und kirchlichen Zwecken dienen, sondern will darüber hinaus der sichtbare, hörbare Ausgangspunkt eines künstlerischen Programms für Toleranz und Frieden bilden, das über die Orgelmusik hinaus geht.


Kaum ein Ort dürfte in Hamburg dafür so geeignet sein wie diese Kirche.

  • Hier haben sich sind nach jahrhundertelangen Auseinandersetzungen erstmals protestantische und katholische Kirche in Hamburg im 19. Jhd. gegenseitig anerkannt. Großer Michel und Kleiner Michel sind heute enge ‚ökumenische Geschwister‘.
  • Hier wurde nach dem II. Weltkrieg durch den Wiederaufbau der völlig zerstörten Kirche mit ausschließlich französischem Mitteln exemplarisch das Ende der ‚Erbfeindschaft‘ mit Frankreich besiegelt. Beide Länder haben sich damals in Rückbesinnung auf ihre gemeinsamen Wurzeln in Antike und Christentum ‚die Hände gereicht‘. Die Architektur der Kirche von 1953 zeigt das bis heute sehr anschaulich, sowohl innen als auch außen. Das Denkmal Karls des Großen (oder wie die Franzosen sagen ‚Charlemagne‘), also des gemeinsamen Herrschers und ‚Pater Europae‘ am Rande des Kirchplatzes, erinnert daran, dass bei der Gründung von Hamburg beide Länder eng verbunden waren.
  • Hier findet die weltumspannende christliche Welt von heute sichtbaren Ausdruck in einem hoffnungsvollen Miteinander von ganz unterschiedlichen Gruppen aus Afrika (v.a. aus Togo und der Elfenbeinküste), aus Asien (v.a. von den Philippinen und aus Indien) und aus Frankreich. Im Kontext mit den vielen freundschaftlich verbundenen umliegenden Kirchen aus Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark, England, Polen und der Internationalen City Church in der Neustadt bilden alle so etwas wie ein ‚Christliches Tor zur Welt‘ mit Blick auf globale Themen und Fragen, die von größter Aktualität und Relevanz sind: Wie kann Frieden und Gerechtigkeit hergestellt und konkret gelebt werden?

Außerdem zeugt die unmittelbare Nachbarschaft anschaulich von dem großen Einfluss, den mehrere Generationen der Familie Mendelssohn auf die Verankerung des Toleranzideals und auf die geistige Entwicklung in Hamburg und weit darüber hinaus gehabt haben.

Vieles scheint vergessen, was sich als einzigartige familiäre Erfolgsgeschichte darstellt:

  • Moses Mendelssohn war ein enger Freund von Lessing und steht wie dieser dafür, dass sich die Aufklärung in Hamburg und Deutschland durchsetzte. Eines ihrer wichtigsten Ziele war Toleranz gegenüber jedermann. Lessing – damals in Hamburg – stand in heftiger Auseinandersetzung mit hiesigen Theologen. Seine Position in diesem Konflikt beschrieb er in dem Schauspiel „Nathan der Weise“. In dieser Figur ist die Philosophie und die Persönlichkeit von Moses Mendelssohn selbst erkennbar verkörpert. „Nathan-Moses“ sind also Teil unserer Stadtgeschichte.
  • Fanny und Felix Mendelssohn-Bartholdy, die Enkel von Moses und dessen aus Altona stammender Ehefrau Fromet, sind nur wenige Meter vom Kleinen Michel entfernt geboren. Sie haben ihre Musik immer auch als künstlerische Manifestation der Ideale von Moses verstanden. Das wird ein Gegenstand der künstlerischen Veranstaltungen unseres Projektes sein.
  • Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, Jurist und ein Enkel von Felix, hat das erste deutsche Friedensforschungsinstitut an der damals neuen Universität Hamburg begründet. Als Leiter von 1922 bis 1933 verstand er u.a. den Toleranzgedanken als ein tragendes Prinzip aller gemeinsamen Bemühungen um Frieden.
  • In diesen eher jüdischen Kontext gehört auch, dass 1817, ebenfalls in Rufweite des Kleinen Michel, im Innenhof eines gegenüberliegenden Gebäudes der erste liberale jüdische Tempel in Deutschland errichtet wurde. Die aus Portugal und dann aus Spanien und den Niederlanden nach hierher ausgewanderten jüd. Kaufmannsfamilien suchten in ihren Riten Anschluss an die kulturellen deutsche Entwicklungen: im Gebrauch der Landessprache, durch mehr Rechte für Frauen im Gottesdienst, vor allem durch liturgische Musik: hier erklang – wohl weltweit zum ersten Mal überhaupt – eine Orgel in einem jüdischen Kultraum.

Angeregt durch diese Gedanken und historischen Begebenheiten hat sich ein privater, nicht kirchlich gebundener Aktionskreis gebildet, der das Mendelssohn-Friedens-Projekt „Artists for Tolerance“ im Januar 2020 als ‚Dynamisches Denk-Mal‘ gestartet hat. In Zukunft sind jährlich regelmäßige innovative Veranstaltungen und weitere neue künstlerische Formate im Kleinen Michel geplant. Mit einbezogen wird der seit mehreren Jahren erfolgreiche „Salon Kleiner Michel“, der in Kooperation mit der Musikhochschule, der Theaterakademie sowie Tänzerinnen und Tänzern des Hamburg Ballett John Neumeier die Künste ‚integriert‘ zu begreifen versucht. Das Projekt wendet sich dabei vermehrt auch an Künstlerinnen und Künstler aus anderen Kulturen und Religionen.